Freitag, 9. März 2012

Musik: Eluveitie- Helvetios

Eluveitie
Helvetios

Wochenlang habe ich dem 11. Februar '12 entgegengefiebert: dem Tag, an dem endlich das neue Album der Celtic Metal- Band Eluveitie in meinem Briefkasten bereit liegen würde, einen Tag nach seinem Erscheinungsdatum.
Wer die schweizerische Metalband kennt und liebt, wird das Album vermutlich schon gehört haben, und wer das noch nicht getan hat, dem kann ich es nur wärmstens empfehlen.
Zuerst musste ich mich in die Lieder hineinhören, um zu erkennen, was für ein vielfältiges und schönes Werk ich vor mir hatte- am Anfang war ich sogar etwas enttäuscht darüber, dass meine Lieblingsmusikgruppe ihrem Stil doch nicht so treu geblieben ist, wie ich es mir erhofft hatte.
Inzwischen allerdings muss ich sagen, dass das Album wunderbar ist, und ich es jeden Tag hören will und dies auch in die Realität umsetze.
Nicht nur musikalisch ist das Album vielversprechend und auch sehr vielfältig, sondern auch der Inhalt und die Bedeutung des Werkes sind wie immer etwas ganz Besonderes. Die Band um den Sänger "Chrigel" Glanzmann hat sich ein weiteres Mal Mühe gegeben, die Songtexte auf historischen Gegebenheiten und handfesten Tatsachen basieren zu lassen anstatt auf irgendwelcher "keltischer" nebliger Mystik. Auch dieses Mal wurde die Uni Wien zu Rate gezogen, um Passagen in eine Form von rekonstruiertem Gallisch zu übersetzen, und Gegenstand des Albums ist der gallische Krieg mit Schwerpunkt auf dem Stamm der Helvetier. Historische Geschehen wurden klug verarbeitet und aus der Sichtweise eines antiken Kelten erzählt.
Einem jeden Lied auf dem Album kann ich viel abgewinnen und es ist schwer- fast unmöglich- mein Lieblingslied zu benennen. Jeden, der Bands in Richtung Eluveitie oder auch Metal allgemein mag, egal ob Keltologe oder nicht, wird das Album bestimmt begeistern.
Große und kleine Momente sind ebenso vorhanden wie großes musikalisches Geschick und historisches Hintergrundwissen. Es gibt keine Pausen zwischen den Liedern, sie gehen ineinander über und verschmelzen miteinander, Geräusche und Instrumente sowie Melodien des ersten Liedes werden manchmal im Zweiten wieder- oder weiterverwendet. Und obwohl es im Lyrics- Heft Rechtschreib- und Nummerierungsfehler gibt, ist es doch mit schönen Bildern hinterlegt (bis auf das für "A Rose for Epona", das ich dann doch zu modern anmutend und unkeltisch finde) und wer genau hinhört und mitliest, wird ein paar Parallelen zum "Everything Remains... As It Never Was"- Album heraushören können. "Helvetios" rockt- und bringt einen zum Nachdenken.

I Prologue
Dies ist ein Lied, das keines ist. Eine raue schottische Stimme erzählt von einem persönlichen Rückblick auf die letzten Jahre, im Hintergrund hört man das Raunen des Windes. Unwillkürlich fühlt man sich an die unberührten Highlands, an die wilde Einsamkeit und die sanfte Melancholie eines Übriggebliebenen erinnert.
Ein schöner und faszinierender Einstieg in das Album, vor allem, da dies ein sehr ungewöhnliches Stilmittel für Eluveitie ist- anstelle eines musikalischen Stückes ein Erzähler. Ein schöner Beginn, der spätestens dann für Gänsehaut sorgt, wenn im Hintergrund dann doch die erste dumpfe, unheilvolle Musik erklingt und die Worte des Mannes düster untermalt.
Mein einziger Kritikpunkt ist der schottische Akzent des Erzählers- eigentlich haben die Schotten nichts mit dem gallischen Krieg zu tun, außer, dass in Schottland irgendwann einmal Kelten/Pikten waren. Und nur, weil sich ein schottischer Akzent keltisch anhört, soll dies nun einen Helvetier darstellen? Von einer Band, die es besser weiß, hätte ich das eigentlich nicht erwartet.
Dennoch ein epischer und zugleich faszinierend "trockener" Beginn für ein solches Album, welcher vor allem die Wildheit der Natur und selbstverständlich der Helvetier selbst hervorhebt.

"And after all, when I reminisce about those years, I mostly remember our songs.
We sang, as if to drown out the sound of clashing swords,
As if the battle cries fell silent."

II Helvetios
Gleich der erste richtige Song trägt den Titel des Albums- und dieses Lied hat es in sich!
Schon der Übergang zwischen "Prologue" und "Helvetios" sorgt für eine unglaubliche Gänsehaut, und das ist auch gewollt so und gut gelungen. Der Sound ist satt und überwältigt einen wie eine Welle aus Tönen, das Lied setzt ein und verliert dabei zwar etwas an Volumen und Tonfülle, aber nicht an Begeisterungskraft. Ein wunderschönes, recht schnelles Lied mit einem dröhnenden Anfang, zu dem der Gemischte Chor Zürich mit aller Kraft gallische Worte singt- und das danach in die gewohnte Eluveitie-Weise zurückschwingt, bei der sich das Geknüppel des Schlagzeugs mit keltischen Instrumenten vermischt. Ich kann zu dem Lied nicht mehr sagen, als dass es Lust macht, unglaublich schnell zu Headbangen und dass es einem gute Laune macht, obwohl es kein Gute-Laune-Lied ist. Dafür aber eines, welche eine Hymne auf den Stamm der Helvetier zum Besten bringt und von Stolz und Härte spricht. Mich erinnert "Helvetios" an wilde Wälder und eine sehr archaische Form von feuriger Kraft und einem Hauch von Überheblichkeit, die auf Stärke gründet. Es ist absolut hörenswert und einer der besten Song auf dem Album. Meiner Meinung nach.

"Cause we're born free
Cause we're born wild
Cause we are indomitable and bold
Cause we are fire
Cause we are wave
Cause we are rock
We are one- we are
Helvetios!"

III Luxtos
Und schon wieder muss ich mein Loblied singen. "Luxtos" ist ein tolles Lied, und es ist WIRKLICH fröhlich und ein echter Ohrwurm. Ich habe gelesen, dass manche es nicht mögen, weil sich der Refrain anhört wie von einem Kinderlied, und irgendwie stimmt diese Aussage- die hellen Frauenstimmen, die den Refrain singen, die irgendwie kindlich klingenden gallischen Wörter, die fröhliche Melodie... Doch ich glaube zu wissen, weshalb dies so gewählt wurde. Auch "Luxtos" ist ein Loblied auf die Helvetier -wir erinnern uns, die Mitglieder der Band sind fast alle Schweizer- , wieder aus der Sicht der Helvetier selbst geschrieben, wie in "Helvetios". Doch während der Schwerpunkt in "Helvetios" mehr auf dem religiösen und kriegerischen Aspekt lag -oft wurde Antumnos, das Jenseits, erwähnt, sowie die Götternamen Bricta, Sucellus und Ogmios- erzählt dieses Lied eher von dem Reichtum und Wohlstand, von der edlen Abstammung und Gesinnung dieses Stammes. Auch Chrigel erwähnt auf der DVD, die man sich zu dem Album dazu kaufen kann, dass Caesar die Helvetier als beinahe kindlich naiv beschrieb; und dies ist meiner Meinung nach der Grund, warum dieses Lied geschrieben wurde: um nicht nur die starke, kriegerische Seite der Helvetier zu zeigen, sondern ihre beinahe kindische Art, ihren Stolz und ihre Freude daran, Helvetier zu sein. Deswegen mag ich dieses Lied. Es ist unschuldig, aber keineswegs naiv, und strotzt vor Freude. Es begleitet einen den ganzen Tag- man möchte hüpfen.

"Nertom woloutom que etsi snis,
Emmos snis riyi emmos snis."
("Wir sind stark und wir sind reich, wir sind frei- das sind wir.")

IV Home
Ich weiß, es geht so langsam auf die Nerven, aber auch dieses Lied ist eines meiner Lieblinge. "Home" ist ein sehr trauriges und langsames Lied -dennoch keine Ballade-, das einen wunderschönen Text hat und musikalisch der Hammer ist. Aus der Sicht eines Helvetiers wird hier von der Entscheidung erzählt, mit der der gallische Krieg begonnen hat: die Entscheidung, die helvetische Heimat zu verlassen und, von den Germanen und Römern bedrängt, auszuwandern. In diesem Lied wird von der Trauer und dem Heimweh erzählt, welche einen solchen heimatlosen Helvetier wohl befallen haben müssen, nachdem diese Entscheidung getroffen wurde, außerdem kommt eine herzzerrreißende Wut auf die landgierigen Römer hinzu, die sich mit der Heimatlosigkeit und der erstarrten Einsamkeit vermischen. Ein tiefsinniges, hellsichtiges Lied mit einem schönen Text und ebenso schöner Musik, welches ich nicht missen möchte.

"Good night my love, let me watch you sleep from here or above,
Words like these won't leave this place,
Be haunted by our trace...
I weep as I kiss the ground, the trees that I'll soon miss
The songs we sang will ring out, the memories will resound."

V Santonian Shores
Dieses Lied erzählt von dem Aufbruch der Helvetier - die immerhin tausende von Menschen waren-, welche sich entschlossen hatten, zum Land der Santonen an der Küste Frankreichs vorzustoßen. In "Santonian Shores" schwingt schon die Seelentrauer mit, die man nach der Einäscherung seiner Heimat empfindet- denn vor dem Aufbruch der Helvetier verbrannten diese ihre Heimat, ihre Dörfer, ihre Felder, Heiligtümer und Brunnen wurden verwüstet und vergiftet, um den Feinden nichts in die Hände fallen zu lassen. Dennoch ist das Lied schnell und teilweise sehr fröhlich, und ich mag es sehr.

"The afterglow
Glimmered on the roof of our homestead
We bode the nightfall at hand
Believe set out into the dark..."

VI Scorched Earth
Dieses Lied ist gänzlich in der gallischen Sprache verfasst -auch, wenn es durch den Gesang meiner Meinung nach eher etwas orientalisch wirkt- und von einem Mann gesungen, der außer von dem Wind und dem Knistern des Feuers nur selten von Instrumenten begleitet wird. "Scorched Earth" erzählt von der verbrannten Heimat der Helvetier und beschwört einem lebhaft das grauenvolle Bild vor Augen: der dunkle Nachthimmel, davor ein paar finstere Baumwipfel, gefräßige orangerote Flammen, welche die Dunkelheit erleuchten, Funken, Rauch und an anderer Stelle nur noch glimmende Glut, wo nichts mehr zu retten ist, und abseits ein Mann, der nicht weiß, was sein wird und ob er sein Ziel jemals erreichen wird, ein einsamer Mann im kalten Nachtwind, dessen Tränen erst sehr viel später kommen werden...
Glaubhaft führt einem dieses Lied vor Augen, wie es ist, seine geliebte Heimat in Feuer zu setzen, und zu wissen, dass man sie nie wieder sehen wird, dass man aufbrechen und nie mehr zurückkommen wird- dass ein ganzer Stamm, nicht nur ein Einzelner, dieses Land für immer verlassen und niemals wieder betreten wird. Das tut einem in der Seele weh.

"Druco- critus me gabiti
Rac' senoxs auagomos
Aue, aue, inte noxtin."

("Ich zittere,
Denn heute Nacht gehen wir fort,
Fort, fort, in die Nacht.")

VII Meet the Enemy
"Meet the Enemy" ist ein hartes und schnelles Lied, welches die erste Konfrontation zwischen Helvetiern und Römern beschreibt: die Schlacht an der Saône. Die Römer werden hier beschuldigt, den Helvetiern Unschuld und Ehre ein für alle Mal ausgetrieben zu haben, denn diese Schlacht beruht auf einem grausamen Ereignis. Nachdem Caesar die in friedlicher Absicht gekommenen Helvetier wochenlang am Ufer des Genfer Sees festgehalten hatte, weil er sie nicht passieren lassen wollte, gab er seinen Männern den Befehl, das helvetische Lager bei Nacht anzugreifen, und ein Viertel der Helvetier wurde überrumpelt und massakriert, Frauen, Alte, Kranke, Kinder, Händler, Bauern, unbewaffnete schlafende Krieger, alle wurden sie niedergemetzelt.
Und dies war bestimmt ein Erlebnis, welches die Weltsicht der naiven und gutgläubigen Helvetier für immer verändern sollte. Besonders gut gefällt mir die Zeile "Meet the Liar", denn das erst ist es, was die Römer für die Helvetier zu Feinden machte: nicht ihre grenzenlose Landgier, nicht die Tatsache, dass sie tausende von Menschen, die nur zum Land der Santonen ziehen wollten, wochenlang ohne ersichtlichen Grund aufhielten, sondern ihre Verlogenheit und Falschheit.

Das Einzige, was ich an diesem Lied nicht so toll finde, ist der einmalige Einsatz der Frauenstimme Anna Murphys, die sich rasch in ein hohes, irgendwie klischeehaftes Screamen wandelt, was mir immer wieder... nun ja... missfällt.

"It was like playing Ludus Latrunculorum
Only... the pieces were made of flesh and of blood
Valour and honour bereft of their meaning
The blood on our hands will forever stay."

VIII Neverland
"Neverland" erzählt von der Schlacht um Bibracte, der Hauptstadt der Haeduer, welche von den Römern nach einer Belagerung gewonnen wurde und einer der Höhepunkte des Gallischen Krieges bildete. Mit diesem Lied geht die Hoffnung der Helvetier, ihre Heimat oder das Santonenland jemals zu sehen bzw. wiederzusehen, endgültig unter. Ein gutes Lied mit interessanter Melodie.

"Another false dawn collapsed
A glimse of our save home
Perished in Bibracte
Another hope dearly payed
When we all where betrayed
The end to our exodus
(...) Santones Land we never got to see."

IX A Rose for Epona
Das erste und einzige Woman Fronted- Lied auf dem Album. Von vielen kritisiert, erzählt "A Rose for Epona" die Hoffnungslosigkeit der Helvetier aus der Sicht einer jungen Frau, die erkennen muss, dass alle Hoffnung auf Frieden und Heimat dahin ist. Das Lied ist -wie im Titel ersichtlich- an Epona, die keltische Göttin der Fruchtbarkeit und der Reiterei, gerichtet (Als Göttin der Pferde fand sie auch nach der Eingliederung Galliens ins Römische Reich Bewunderung der römischen Legionäre). Ihr wurden getrocknete Rosen geopfert und geweiht, weswegen diese Blume auch im Titel des Liedes und im Lied selbst vorkommt.
Viele mögen dieses Lied nicht, weil sie es "poppig" finden- ich allerdings mag es, obwohl ich zugegebenermaßen normalerweise die Allerletzte bin, die Woman Fronted-Lieder gut findet, wie ich bekennen muss (zumindest im Metal). Doch dieses Lied ist sehr schön und erzählt eindrücklich von dem Gefühl, dass einen die Gottheit verlassen hat, die man liebt, die Mutter und Gefährtin, die einen vergessen hat... das Lied ist weder poppig noch oberflächlich, sondern zumindest in meinen Augen sehr, sehr schön und traurig, obwohl es keine Ballade ist. Das Video dazu hat mich beinahe zum Weinen gebracht, ich kannte dieses wunderschöne Epona-Bildnis, das dort gezeigt wird, vorher gar nicht.
An der Stelle, an der Chrigel kurz einsetzt ("Epo, Epo, why hast thou forsaken me? Together we go down unsung- Into thy hand I commend my spirit. Together we go down with our people!") läuft es mir jedes Mal eiskalt den Rücken herunter- es ist das Flüstern und Brüllen eines von Epona verlassenen Kelten, der ihr aber dennoch treu bleibt. Es ist wunderschön, wirklich.

"These grey stone walls
Are cold and silent as the fallen
Mother gone deaf
Mistress of shattered hopes
And forever broken dreams.
Where you there?"

X Havoc
Dieses Lied greift zu Anfang wieder das Motiv des Todes eines Viertels der Helvetier auf, die in der Nacht von den Römern niedergemetzelt wurden -"I wonder what it's like to attack at night, mow down the defenseless"-, steigert sich dann allerdings rasch in eine Art Wutrede über die Landgier der Römer hinein. An einer Stelle hört man sogar die Stimme eines "Römers" (das soll Caesar sein), welcher verkündet: "Gallia est pacata!" Vor allem gefallen mir die vielen römischen und gallischen Ausdrücke -"from Helvetia to Eburonia/From Aremorica to Carnutia/ Narbonensis was not enough"-; allgemein gefällt mir das Lied wegen dem wütenden und zugleich "historisch korrekten" (falls dieser Ausdruck richtig aufgefasst werden kann)Text und der trotz allem Zorn sehr fröhlichen Musik. Auch der kleine, irgendwie lustig klingende Laut, den Chrigel regelmäßig ausstößt, hat es mir angetan.
"Havoc" bildet definitiv das zentrale Lied des Albums- den Höhepunkt der Wut und Erkenntnis kurz vor dem Ausbruch der Rebellion, und das ist vermutlich auch der Grund, weshalb zu "Havoc" ein eigenes Video gedreht wurde.

"Imperial needs are met
At the bloody costs of free tribes
Invasion, raid and war atrocity
In the name of s.p.q.r."

XI The Uprising
"The Uprising" ist das zweite Lied Eluveities über Vercingetorix -das erste findet sich in "Everything remains... as it never was" unter dem Namen Kingdom Come Undone- und dessen Versuch, die gallischen Stämme zu vereinen, um den römischen Invasoren die Stirn zu bieten. "The Uprising" ist ein gutes Lied, allerdings nichts unglaublich Besonderes, dennoch ziemlich gut und nach einem Schema aufgebaut, das allen Eluveitie- Hörern vertraut sein dürfte. In der zweiten Hälfte verbirgt sich eine Überraschung, als wieder unser schottischer Erzähler auftaucht und dieses Mal in der Rolle des Vercingetorix eine Rede zu den Häuptlingen der keltischen Stämme hält. Allerdings klingt diese Stelle bei mir etwas zu einstudiert und aufgrund der seltsamen Tonqualität dieser Szene (ich weiß nicht, ob das nur bei meiner Anlage so ist?) irgendwie etwas... billig. Dennoch freue ich mich immer wieder auf die Stelle, weil es eine schöne Idee ist, auch wenn ich mir einen anderen Sprecher gewünscht hätte.
Bei der Zeile "Unite! This is Gallia uprising!" läuft es mir immer wieder kalt den Rücken herunter vor Wonne.

"And while you fight among yourselves for Rome's favour, an even greater vision is crying out to be seen: A country of our own. A free Gaul."

XII The Siege
Nun erwartet einen eine neue Schlacht: die Schlacht um Avaricum, die ein schwarzes Kapitel in der antiken Geschichte ist: von 40 000 Kelten überlebten nur etwa 800. Trotz der starken gallischen Mauer, die die Feinde hätte aufhalten sollen ("Believed invulnerable, this Gallic wall"). "The Siege" ist ein interessantes Stück und das erste Lied, in dem Eluveitie das Screamen einsetzen. Allerdings gefällt mir gerade das überhaupt nicht, weil es meiner Meinung nach nicht mal wirklich gut gescreamt ist, sondern eher nach irgendwelchen billigen "Black Metal"-Bands klingt, die seltsamerweise bei allen beliebt sind. Dennoch will ich nicht ganz so gemein sein: man gewöhnt sich daran und spätestens bei der letzten Strophe ist das Screamen unverzichtbar geworden. Und es ist schön, dass Eluveitie sich der Schlacht bei Avaricum gewidmet haben.

"Avaricum the brave became Avaricum the grave."

XIII Alesia
Und hier haben wir es: das Ereignis, worauf der gallische Krieg unweigerlich zulief. Wer die Geschichte des Gallischen Krieges kennt, weiß, was bei Alesia geschehen ist.
Vercingetorix und "seine" Kelten verschanzten sich in dem Oppidum (der Stadt) Alesia, wo sie von den Römern belagert wurden, die innerhalb von kürzester Zeit einen wahren "Todesstreifen" aus dem Boden stampften, und den eingesperrten Feinden so die Flucht unmöglich machten. Schließlich wurden die Vorräte knapp, und so trafen Vercingetorix und einige andere einflussreiche Männer die schreckliche Entscheidung, jeden, der kein Krieger war, aus Alesia hinauszuschicken, in den Bereich zwischen Festung und Todesstreifen, sodass keine unnötigen Esser mehr im Oppidum waren und die Nahrungsmittel für die Krieger ausreichten. Zweifellos taten die Kelten dies in der Annahme, dass Caesar beim Anblick der hilflos verhungernden Frauen, Kindern, Alten, Kranken und Zivilisten den Todesstreifen öffnen und sie in die Freiheit entlassen würde, doch dies tat er nicht. Nachdem mehrere Ausbruchsversuche brutal niedergeschlagen und auch die Reiterei- Verstärkung, die Vercingetorix zu Hilfe eilen wollte, besiegt worden waren, beschloss der Avernerfürst, diesem Albtraum ein Ende zu setzen, indem er sich freiwillig opferte. Wie man es sich so erzählt, ritt Vercingetorix auf seinem schönsten, geschmückten Ross aus Alesia heraus, mit seinen besten Kleidern und Waffen versehen, umrundete Caesar reitend drei Mal und warf ihm dann seine Waffen zu Füßen.
"Alesia" ist ein schönes und trauriges Lied mit einer hübschen Melodie und einem schönen Refrain. Was mich aber wirklich nervt, ist Annas Stimme in der ersten Strophe. Ich weiß, dass alle behaupten, sie hätte sich seit dem letzten Album unglaublich verbessert, aber das finde ich nicht. Mir gefiel ihre natürliche Stimme besser, und nicht diese betont heisere, R&B-mäßige Popstimme, die in diesem Lied auch nichts verloren hat. Aber okay, mit dem Refrain verbessert sich das Ganze glücklicherweise.
Abgesehen davon aber ist "Alesia" einfach ein wunderbares Lied, das dem historischen Geschehen gerecht wird und immer wieder schön zu hören ist. Vom Gemischten Chor Zürich wird es wundervoll beendet, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, sie hätten "Alesia" nicht englisch ausgesprochen.

"Alesia, Alisanos,
Wake me when I'm gone
Ianotouta, eternity
Proclaim our barren sacrifice."

XIV Tullianum
Wer weiß, wie es nach Alesia mit Vercingetorix weiter ging, wird dieses nur 25 Sekunden dauernde Lied ebenso zu schätzen wissen wie ich: Caesar behandelte seinen Feind nicht gerade ehrenvoll. Nachdem Vercingetorix sich ergeben hatte, wurde er nach Rom gebracht, wo er sechs Jahre im Tullianum, dem römischen Kerker, verbrachte. Bei dem Triumphzug Caesars in Rom wurde er vorgeführt wie ein wildes Tier, das er in den Augen seiner Feinde tatsächlich auch war. Nach sechs dunklen Jahren der Kerkerhaft schließlich wurde er im Tullianum -beinahe still und heimlich, könnte man sagen- gemeuchelt, vermutlich durch Erwürgen.
Das Lied "Tullianum" besteht aus einem Satz, der von Anna gesprochen wird, und anschließendem melancholischem Geplänkel, und ist immer wieder schön zu hören und fängt einfach... alles, von dem das Album erzählt, so treffend ein, dass dieses Lied einem tränenschwer auf der Seele lastet.
"And so it all ends, with just a noose
Fly raven, fly..."
Der Rabe war bei manchen Keltenstämmen der Todesvogel, der auf seinem schwarzen Rücken die Seelen der Verstorbenen nach Anwnn oder Antumnos, das Jenseits, die Andere Welt, brachte, eine Insel meist, die so weit entfernt und doch so nahe war...

Vercingetorix ging trotz seiner Niederlage als französischer Nationalheld in die Geschichte ein. Und obwohl er keinen Erfolg erreichen konnte, diente er -vermutlich auch wegen seines grausamen, traurigen Todes- stets als großes Beispiel für viele, die seinen Fußspuren folgen sollten- und hätte er in unserer Zeit gelebt, so würde er bestimmt in einem Atemzug mit Che Guevara und Martin Luther King genannt werden.

XV Uxellodunon
Und wer gedacht hat, dass "Helvetios" damit ein Ende hat, der täuschte sich. Denn auch der gallische Aufstand hatte erst Jahrzehnte nach der Eingliederung Galliens ins Römische Reich ein Ende, und der Aufstand von Uxellodunum -Uxellodunon, wie es hier genannt wird- war sicherlich einer der blutigsten Höhepunkte des "nach-Vercingetorixischen" Aufstandes. Als Zeichen und Mahnmahl an alle, die es wagten, sich dem römischen Imperium entgegen zu stellen, wurden allen Verteidigern Uxellodunums die Hände abgehackt, um sie ein Leben lang vom Waffentragen abzuhalten. Dennoch wurden sie nicht getötet, damit sie bis an ihr Lebensende als Warnung an andere Rebellen dienen konnten.
Selbst nach der Schlacht von Uxellodunum gab es immer weitere Aufstände in Gallien, denn die Gallier hilten sich schon immer für unbeugsam.
"Uxellodunon" ist ein stampfendes, gewaltiges Lied, das die Situation gut einfängt und sehr mitreißend ist. Auch hat der Refrain einen sehr schönen Text, und trotz eines starken grammatikalischen Schnitzers ("out from the ahses, out from the graves") ist auch der Rest des Songtextes eindrucksvoll. Musikalisch und lyrisch also interessant und schön, und es ist wunderbar, zu erwähnen, dass die Aufstände noch lange nach Vercingetorix' Tod weitergingen, was die Meisten nicht wissen.

"We will never regret
We defied
We will raise our arm stubs in pride
We will never perish."

XII Epilogue
Mit der Schlacht um Uxellodunum endet also das Album "Helvetios" über das dunkelste Kapitel in der gallischen und vor allem helvetischen Geschichte, und niedergeschlagen, wie man nun unverweigerlich ist, darf man sich auch noch von dem schottischen Erzähler anhören, dass die so hoffnungsfrohen Helvetier alle starben, "and our blood seeped away on the battlefields."
Doch halt, was ist das? Plötzlich scheint der alte Haudegen dennoch ein Stückchen Hoffnung gefunden zu haben, denn während man deprimiert den letzten Klängen des Albums lauscht, erzählt er einem, dass der stolze Stamm der Helvetier für immer in den Liedern, die von Kindern und Kindeskindern der Überlebenden gesungen werden, weiterleben wird.
Und während man sich schon mit diesem zugegebenermaßen bitterschönen Gedanken anzufreunden beginnt, nimmt das Album seinen zärtlichen Abtakt mit den sanftesten, lieblichsten Instrumenten und den süßesten, unsterblichsten Stimmen, die Eluveitie zu bieten hat.
Das allerletzte Lied, das einen einlullt wie warmes Schmelzwasser von den höchsten schweizer Gipfeln im Frühjahr, gibt einem gerade genug Zeit, um die Tränen wegzuwischen, die nun -zumindest bei mir, immer wieder, jeden Abend- von der Nasenspitze tropfen.
Denn dass dieses Album, welches von zerschlagener Ehre, zerstörtem Stolz, ausgestorbenen Stämmen und Blut und Dunkelheit ohne Unterlass erzählt, sein Ende in einem solch sanften, hoffnungsvollen Lied nimmt, zeigt mir, dass die Welt in Eluveitie Menschen gefunden hat, die das antike Geschehen nicht nur aus der Sichtweise eines Musikers, auch nicht nur aus jener eines Historikers, sondern vor allem aus jener eines warmherzigen Menschens, eines Nachfahren eines längst untergegangenen Volkes, sehen, und das stimmt mich jedes Mal wieder glücklich.
Der gallische Krieg ist eben "hard stuff", und das nicht nur für solche Sensibelchen wie mich, und dieses ungewohnt düstere Album mit einem weichen, hoffenden Seelentrösterchen zu beenden, ist das Beste, was einem eine Band wie Eluveitie geben kann.
Und, mein Verlobter hat recht: ich muss nicht so traurig sein über etwas, das mehr als zwei Jahrtausende lang her ist, auch wenn alle Festungen, alle Viereckschanzen, alle Oppida heute leer stehen; auch wenn niemand mehr die Lieder der Helvetier singt: man kann Bands wie Eluveitie als das Kulturerbe dieses großen Stammes sehen.
Und weiterleben werden die Kelten, ob wir das nun wissen oder nicht, in all jenen kleinen Traditionen, Melodien und Namen, von denen wir nicht einmal mehr ahnen, dass sie alt sind, uralt.

"This is how we will be remembered.
This is who we were: Helvetios."

Ich kann Euch allen nur raten: Hört es Euch an. Und hört es Euch wirklich an.
Lasst Euch überraschen.
Nach diesem Album bleibt nichts mehr zu sagen-
Und dass, obwohl ich so viel geredet habe.
 

La Gaule unie formant une seule nation animée d'un même ésprit peut défier l'Univers.
Das vereinigte Gallien, welches vom selben Geist beseelt ist, kann der ganzen Welt trotzen.
 -Vercingetorix

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