Heinrich von Kleist- Michael Kohlhaas
"Oh mein Gott wie schreibt denn der."-"Also, ganz im Ernscht, der war doch vollkommen balla-balla, odda?"- "Ähhh, der war echt krang im Kopf, der Heinrich von Kleischt, der war echt geischtig voll hintendran geblieben so Sätze wie der schreibt kann man doch echt nur blöd im Hirn sein." - "Der isch voll dumm weil ich verschteh des Deutsch nit des der schreibt."
Das sind so die allgemeinen Auffassungen armer, geplagter, intellektueller (^^) Abiturienten, die sich mit diesem Sternchenthema auseinander setzen müssen oder mussten. Mal ganz abgesehen davon, dass die Aussage "Ich glaub, der war dumm, weil ich sein Deutsch nit versteh" nicht gerade zu den intelligentesten gehört, glaube ich, dass der Großteil der jungen Leser einfach nicht versteht, worum es in diesem Buch geht. Klar, es ist umständlich geschrieben und Kleist neigt zu Schachtelsätzen und sehr altmodischer Schreibweise. Aber das liegt, und man verzeihe mir, nicht daran, dass er dumm ist (ich wusste auch gar nicht, dass gutes Deutsch ein Anzeichen von Dummheit ist... aber ich bin eben etwas ungebildeter als der durchschnittliche Jugendliche), sondern dass er in einer Zeit gelebt hat, wo man eben so geschrieben hat. Und das ist alles.
Außerdem spielt das Geschehen im 16. Jahrhundert. Da wäre eine moderne Sprache so oder so nicht gerade angemessen.
Nichtsdestotrotz, Kohlhaas ist kein unverständliches Werk eines geistig Zurückgebliebenen, sondern ein großes Manifest der deutschen Sprache. Es ist die Geschichte eines Mannes, der aus Rechtsgefühl das Recht übertritt, der aus Rache ein ganzes Land in Schutt und Asche legt, die Geschichte eines Einzelnen, der nur bekommen möchte, was ihm zusteht und dafür all seinen Besitz, das Leben seiner Frau und sein eigenes opfert- und dafür Vergeltung fordert.
Das tragische Geschehen beginnt mit der schlichten Begebenheit, dass Kohlhaas zwei seiner Pferde bei der Tronkenburg zurücklassen muss, die Tiere dienen als Pfand für einen Passierschein, den Kohlhaas nicht dabei hat und nun einfordern will. Nachdem sich herausgestellt hat, dass der Passierschein erfunden wurde, um Kohlhaas das Geld aus der Tasche zu ziehen, versucht er, wieder in den Besitz seiner Rappen zu gelangen, was ihm allerdings schier unmöglich ist. Selbst offizielle Ersuchungen und alles bürokratische Verhandeln helfen ihm nicht dabei, an sein Recht zu gelangen, und schon sieht er sich, einfach aus Gerechtigkeitsgefühl heraus, gezwungen, Haus und Hof zu verkaufen, um wieder in den Besitz der Tiere zu gelangen. Diese Sturköpfigkeit verstört seine Frau Lisbeth, die sich daraufhin selbst aufmacht, um mit dem Fürsten auf der Tronkenburg in Ruhe zu sprechen. Von seinen Soldaten wird sie dergestalt misshandelt, dass sie noch am selben Tag stirbt- und jetzt bricht das bisher schlafende Untier aus Kohlhaas heraus und er wird angesichts des Todes seiner treuen Frau zum Brandstifter und Massenmörder.
Es gibt nun keine logischen Schlussfolgerungen mehr für ihn, nicht einmal die Unschuldigen verschont er jetzt noch, als er und seine Gefolgsmänner sich mit Fackeln und behelfsmäßigen Waffen daran machen, die Tronkenburg zu überrennen und keinen Einzigen am Leben zu lassen. Bald entwickelt sich ein Gefecht zwischen Kohlhaas und dem Staat und immer mehr Männer schließen sich seinen Gefolgsleuten an. Ein ums andere Mal besiegen die Rächer der Unterdrückten wahre Übermachten. Das ganze Land wird in Schutt und Asche gelegt, Klöster, Städte, Kirchen brennen, Menschen sterben in der ohnmächtigen, hartherzigen Glut Kohlhaas' Zorn. Bis ihn schließlich ein Aufruf Martin Luthers wieder in die Wirklichkeit zurückbringt und er erkennen muss, was er getan und wie viel er zerstört hat; von nun an fügt er sich in die Gewalt des Staates, der ihn nun unerbittlich zwischen seinen Rädern zerquetscht.
Wäre da nicht die Prophezeiung der alten Zigeunerin, hätte Kohlhaas wohl nie über den Kurfürsten von Sachsen gesiegt, doch aufgrund einer geheimnisvollen Tatsache, die der Kurfürst nie erfahren wird, kann Kohlhaas lachend sterben. Und so nimmt die uralte Geschichte um den bösen Machthaber und den kleinen Rebellen ihr ewiges Ende: obgleich der Held stirbt, bleibt der Welt doch von ihm die größte Erinnerung; und seine Kinder und Kindeskinder pflanzen sich über Jahrhunderte hinweg fort. Der Mächtige aber verliert schon bald nach der Hinrichtung seines Feindes seinen Einfluss und seine Macht und reiht sich somit in die verstaubte Reihe der vergessenen Großen ein.
Michael Kohlhaas ist eine historische Person, die leider heute größtenteils in Vergessenheit geraten ist. Kleists Roman schildert eindringlich die Entwicklung von dem braven, gottesfürchtigen Rosshändler zum Erzengel der Rache und des Feuers, und wer jemals den Film "Braveheart" gesehen hat, wird zwischen den Zeilen Kleists die Figur des William Wallace wiederfinden- zumindest ansatzweise.
Dieser Roman ist ein sprachliches Meisterwerk -wenn auch anstrengend zu lesen- mit schöner Geschichte und einigen erfundenen Strängen, zum Beispiel die Rolle der Zigeunerin. Dennoch ist die Geschichte Kohlhaas' tragisch, bestürzend, deprimierend und zugleich hoffnungsvoll, denn, wie ein Lied über den historischen Kohlhaas im hinteren Teil des Buches verkündet:
"Sie konnten Hans Kohlhas wohl richten
vom folterrad rann sein blut in den sand...
doch aufs eherne rad der geschichte
sind herren und henker selber gespannt.
Das volk wurde mächtig im lieben und hassen.
Der gerechte ist niemals verlassen."
Dieses Lied entstand erst im 20. Jahrhundert und beweist somit eindringlich, wie sehr wir Gestalten und Helden wie Kohlhaas auch heute noch brauchen und uns ersehnen. Denn, ja- er war ein Held. Auch wenn durch seine Taten viel Blut floss, welches ohne ihn nicht geflossen wäre. Doch das nennt man Revolution.
Ein einziger Satz ist auf der Rückseite des Buches, anstatt eine ellenlange Beschreibung der Romanhandlung, zu finden, und dieser beschreibt meiner Meinung nach perfekt die ganze Atmosphäre der altüberlieferten Geschichte:
"Doch sein Rechtgefühl, das einer Goldwaage glich, wankte noch."
Heinrich Kleist, "Michael Kohlhaas", 1810
6 von 10 Punkten. Für Intention, Handlung und Sprachgefühl.
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