Montag, 12. März 2012

Bücher: Friedrich Dürrenmatt- Der Besuch der alten Dame

Friedrich Dürrenmatt- Der Besuch der alten Dame

(SPOILER)

Sämtliche Abiturienten werden die Nase rümpfen über die Kritik eines Sternchenthemas, doch Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" ist ein gutes Stück deutscher Literatur, welches es zu beachten gilt.
Die Tragikomödie ist ein Theaterstück und dementsprechend in Dialogform mit Regieanweisungen geschrieben.

Als die Milliardärin Claire Zachanassian zurück in ihr verarmtes Heimatdörfchen Güllen, dessen Bewohner sie noch unter dem Namen Kläri Wäscher kennen, kehrt, will sie nur eines: Gerechtigkeit.
Und da sich die Reichen dieser Welt alles kaufen können, selbst den öffentlichen Mord an einem allseits beliebten Mann, erfüllt sich die Geschichte einer jungen verstoßenen Frau, die nach Jahrzehnten wiederkehrt, um Rache zu üben, mit der ganz und gar nicht humanen Tat, welche die Milliardärin fordert: Alfred Ill muss sterben.
Eine verstoßene Schwangere, ein Kind, das ihr weggenommen wird und nach einem Jahr sein Leben aushaucht, zwei mit einem Liter Schnaps bestochene Zeugen und die grenzenlose Bereitschaft der Menschen, zu vergessen, bilden den Rahmen und in gewisser Weise den Mittelpunkt der Geschichte. Man vergisst leicht, was man anderen angetan hat, und dennoch nicht, was einem angetan wurde.
Für die Einen ist Claire Zachanassian eine rachsüchtige alte Vettel, stinkreich und verdorben, lieblos, kaltherzig und vergrämt, männerverschwendend und hart, für die anderen eine nur allzu menschliche Person, eine emanzipierte Heldin, die letztendlich auf ihre Form von Gerechtigkeit besteht, eine Frau, die erkannt hat, dass aus Liebe nur allzuleicht Hass entsteht.
Und bis zuletzt bleibt sie Alfred Ills Freundin, finden doch noch einige Dialoge voller Tiefgang, Emotionen und Erinnerungen zwischen dem zum Tode Verurteilten und seiner Richterin statt, und schließlich ist es vielleicht allein Ill, der seine Lektion gelernt hat, obwohl eines Tages zu uns allen eine alte Dame kommen wird.
Das arme, doch ehrbare Städtchen Güllen muss nicht einmal seinen Schatten überspringen, um für eine Milliarde, welche die Erfüllung aller Träume darstellt, ein zu Anfang zutiefst verurteiltes und dennoch insgeheim verlockendes Angebot anzunehmen. Unter dem Glanz allerdings bleibt der Schmutz, der sich selbst nicht mit einer Milliarde entfernen lässt; der eigentlich nur auf dieser einen Milliarde beruht: auf dieser Milliarde und einer längst verjährten Schandtat.
Mit einem unheimlichen Jubel, der Gänsehaut verursacht, endet dieses lustige, tragische, traurige, schandhafte, verräterische, dunkle, falsche, abscheuliche, herrliche, moderne Epos auf Liebe und Hass, Vergessen und Erinnerung, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Moral und Macht, Menschlichkeit und die Verlockung des Geldes.
Das Theaterstück ist locker zu lesen und sicherlich auch gut anzusehen, es erfrischt mit gewitzten Dialogen, Situationskomik und gutem Witz, es erschüttert mit der Bewusstmachung der Schatten und der Bereitschaft zum Bösen in der menschlichen Seele, obwohl keiner der Charaktere böse ist oder ein böses Motiv hat.
"Der Besuch der alten Dame" ist bewegend, es ist absurd, makaber, fast schon kafkaesk, um es kurz zu sagen: grotesk,denn die Groteske ist das Markenzeichen Dürrenmatts, der ein Profil von ganz normalen Menschen, die weder gut noch böse sind, gezeichnet hat- und damit empört und erschüttert. Und die Figur der Claire Zachanassian? Vielleicht ist sie am Ende die Einzige, die wahrhaftig triumphiert, die alte Dame in den schwarzen Gewändern, dem Sarg, den sie für Ill mitgebracht hat und in dem sie Ill wieder zurück nach Hause nimmt und dem Parzell an der Mittelmeerküste.
Dieses Theaterstück bekommt auf der Punkteliste der von mir bevorzugten Literatur 6, 5 Punkte von 10.

"DER LEHRER Seit mehr denn zwei Jahrzehnten korrigiere ich die Latein- und Griechischübungen der Güllener Schüler, doch was Gruseln heißt, Bürgermeister, weiß ich erst seit einer Stunde. Schauerlich, wie sie aus dem Zuge stieg, die alte Dame mit ihren schwarzen Gewändern. Kommt mir vor wie eine Parze, wie eine griechische Schicksalsgöttin. Sollte Klotho heißen, nicht Claire, der traut man es noch zu, dass sie Lebensfäden spinnt."

2 Kommentare:

  1. Ich war mal in einer (sehr gut interpretierten) Theateraufführung des Stücks.
    Aber für wen ist denn eine Frau, die einen Mord in Auftrag gibt, deswegen eine emanzipierte Heldin?

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  2. Weil es nicht irgendeine Frau ist, die irgendwen umbringt, sondern eine Frau, die das Vermögen ihrer Ehemänner benutzt, um den Mann zu töten, der sie geschwängert und verraten und somit Schuld am Tod des Kindes hat.

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