Dienstag, 13. März 2012

Bücher: Amélie Nothomb- Antéchrista

Amélie Nothomb- Antéchrista

"Ils n'avaient rien compris. Je ne parlais pas de liberté ou d'autorisation. J'avais de l'amour fou une telle idée que, si cela m'arrivait un jour, je ne pouvais imaginer aucune séparation. Entre l'être aimé et soi, que tolérer, sinon la lame d'un épée?"

"Antéchrista" liegt mir im französischen Original vor, weil es eins der Sternchenthemen im Französisch- Abi ist. Inzwischen habe ich es viele Male gelesen- gut, ich gebe es zu, weniger aus persönlichem Interesse denn aus Pflicht, aber dennoch ist die kleine Novelle der verschrobenen Belgierin Nothomb nicht zu verachten.
Blanche, eine schüchterne, von Minderwertigkeitskomplexen geplagte Einzelgängerin, trifft auf Christa, ihre beliebte und schöne Mitstudentin. Es entwickelt sich eine ungleiche Freundschaft, im Verlauf derer Blanche schnell klar wird: Christa ist das Böse. 
Ausgenutzt von ihrer einzigen Freundin, die davon profitiert, Blanche zu erniedrigen, um sich selbst in besserem Licht erstrahlen zu lassen, muss Blanche zusehen, wie selbst die eigenen Eltern sich von ihrer Tochter ab- und der verführerischen Christa zuwenden, die bald bei der Familie Hast einzieht und Blanche nicht nur ihre Privatsphäre, ihr Bett, ihren Kleiderschrank und ihre Ruhe stiehlt, sondern auch ihr eigenes kleines Stückchen Himmel. Und Blanche muss erkennen, wie sehr die Menschen sich von Schönheit und menschengemachten Idealen beeinflussen lassen, wie sehr eine verlogene junge Frau wie Christa von ihrer Falschheit profitieren kann.
Schlussendlich aber ist es Blanche, die aufbricht, um sich in Christas Heimatort näher umzusehen, und dabei erkennt, dass alles, was der Eindringling der Familie Hast erzählt hat, erlogen ist; weder kommt Christa aus einer unterprivilegierten Familie noch sieht ihr Freund aus wie David Bowie, von ihren eigenen Eltern kassiert Christa das Geld, das sie angeblich an die Familie Hast zahlen muss, um dort leben zu können. Und Blanche rächt sich, nach einer grandiosen Verleumdungscampagne Christas, mit einem spektakulären Zungenkuss, womit die Sanftheit zu siegen scheint... und es am Ende doch nicht tut, denn wie so oft bei Amélie Nothomb gewinnt eben doch nicht das, was wir als gut wahrnehmen, sondern es kommt wie im echten Leben: das Schlechte behält die Oberhand, und Blanche folgt Christas Willen ein weiteres Mal, obwohl diese aus ihrem Leben verschwunden und zurück zu ihrer eigenen Familie gekehrt ist. 

Ein, zumindest aus meiner Perspektive als deutscher Leserin, sehr schön geschriebenes Buch mit vielen Neologismen, Metaphern und intelligenten Anspielungen. Die Belesenheit der Autorin, die sich mit Blanche vollkommen identifizieren kann, ist dem Roman anzumerken. Die Beispiele und Metaphern, die Nothomb verwendet, sind stets christlicher Natur, ein Stilmittel, das ihr gut und authentisch gelungen ist und auch nicht ohne Bedeutung bleibt.
Das ewige Thema in "Antéchrista" ist jenes, welches die Welt schon seit der Entstehung des Lebens bewegt: die Liebe, das Lieben und das Geliebtwerden. Es ist die Geschichte eines Mädchens, welches stets geliebt hat und doch nie zurückgeliebt wurde, und es ist die Geschichte eines anderen Mädchens, welches stets geliebt wurde und nie Liebe empfunden hat, es sei denn für sich selbst.
Und die allumfassende Liebe, die das Buch durchzieht, muss am Schluss der Infamie und dem auferzwungenen fremden Willen weichen- ein weiteres Mal. Der Prozess der Emanzipation und der Starkwerdung der Blanche, ihrer Unabhängigkeit und aufkeimenden Selbstanerkennung, ist nur eine Farce.
"Antéchrista" ist ein wunderbar gekonnt geschriebenes Buch, mit authentischen Darstellungen der Blanche und der Christa, Personen, wie man sie vielleicht aus dem eigenen Leben kennt, und ganz ohne dass die Protagonistinnen einseitig oder flach wirken würden. Dennoch finde ich die Reaktion der Eltern auf Christa übertrieben und bezweifle, dass Eltern, die ihre Tochter jemals geliebt haben, so weit gehen würden. Doch dies ist die Frage: haben die Eltern Blanche jemals geliebt oder war es nur die ewige natürliche Akzeptanz des eigenen Kindes? Vieles wird nicht beantwortet. Was bleibt, ist nur der Radius von Antéchrista, die sogenannte "antéchristée", in deren Umkreis sich der negative Einfluss Christas auf Blanche auswirkt. Und dieser Radius hat Blanche selbst jetzt noch, nach dem Verschwinden Christas, erfasst und "ainsi sa volonté fut faite, et non la mienne"- der Roman endet mit der letzten (von den meisten nicht erkannten) christlichen Symbolik und einem leicht traumatisierten Leser.
"Antéchrista"- schön geschrieben, realistisch und unwirklich zugleich, Situationen aus Alltag und Albtraum... an dieses leider sehr kurze Buch, das erfrischender- und traurigerweise keinerlei Moral mit sich bringt, vergebe ich 6, 75 Punkte von 10.

"Et cependant j'en étais étrangement fière. Si l'on m'avait trompée, c'était parce que, l'espace d'un instant, j'avais aimé. 
"Je suis de ceux qui aiment et non de ceux qui haïssent", déclare l'Antigone de Sophocle. On n'a jamais rien dit de plus beau."

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