Mittwoch, 28. März 2012

Bücher: Terry Pratchett- Kleine freie Männer

Terry Pratchett- Kleine freie Männer

"Kleine freie Männer" war das erste Buch, das ich von Terry Pratchett gelesen habe. Ich habe es als Kind geschenkt bekommen und war verzaubert von Tiffanys Welt, dem Kreideland, eine Hommage an das grüne England. In der Kreide geschehen noch seltsame Dinge: Hexen kommen und gehen, kleine blaue Männer machen die Hügel unsicher, analphabetische Lehrerscharen ziehen durch das Land und lassen sich mit Karotten bezahlen...
Tiffany ist eine Hexe, auch wenn sie es nicht weiß. Aber geahnt hat sie schon immer, dass die Hexe nicht so böse sein kann, wie die Leute in der Kreide es gerne behaupten. Und hätte Tiffany die Wahl zwischen der eitlen Prinzessin, die von einem strumpfhosigen Prinzen gerettet werden muss und der alten warzigen Knusperhexe, die im Wald haust, so würde sie sich natürlich für die Hexe entscheiden, denn Tiffany blickt hinter die Dinge.
Eines Tages verschwindet Tiffanys Bruder. Und das kleine Mädchen macht sich, bewaffnet mit einer Bratpfanne, auf, Willwoll zu retten, obwohl sie ihn nicht einmal wirklich leiden kann. Dabei bekommt sie Hilfe von einer Horde von Wir-Sind-Die-Größten, winzige Miniaturschotten mit blau bemalter Haut, die in alten Grabhügeln hausen und sich aufs Randalieren, Trinken und Stehlen spezialisiert haben.
Die Königin der Feen ist es, die Willwoll und den Sohn des Grafen -Roland- entführt hat, hinein in ihr Land der Träume, denn die Königin mag Kinder. Zusammen mit den Wir-Sind-Die-Größten findet Tiffany ein Tor zum Land der Königin, und dort lauern die Gefahren. Denn weshalb denken wir überhaupt, die Erfüllung unserer Träume wäre etwas Wunderbares? Tiffany weiß es schon bald besser.
Gemeinsam mit den Kleinen Riesen und Roland, der ihr über den Weg gelaufen ist, kämpft sich Tiffany durch ein wirres, irritierendes Land voller Traumfragmente und Imitationen. Sie lernt Troms kennen, Hummelfrauen, den Fröhlichen Seemann, kopflose Reiter und zuletzt die Königin selbst. Und mit der Macht der Kreide schafft Tiffany es, sie zu besiegen. Denn Tiffany ist eine Hexe...

Dies ist, wie bereits erwähnt, mein erstes Terry-Pratchett-Buch, und nicht nur deshalb wird es immer mein Lieblingsbuch sein. Tiffanys Welt ist verzaubert und entbehrt allen unnötigen Komplikationen. Trotz der bescheidenen Schlichtheit der Kreide ist sie ein magischer Ort, voller Gefahren zwar, doch auch voller ländlicher Schönheit und Idylle. In "Kleine freie Männer" evoziert Terry Pratchett die Schrecken unserer Kindheit, zum Beispiel Jenny Grünzahn, die Tiffany mit einer Bratpfanne besiegt, oder den Kopflosen Reiter. Immer wieder spielt Tiffanys tote Großmutter, Oma Weh, eine große Rolle: die alte Schäferin, von der Tiffany unbedingt möchte, dass sie eine Hexe war. Ja, Oma Weh scheint geradezu eine Verkörperung des Kreidelandes zu sein: der Mittelpunkt aus Schafen, Stille, Tabak, Wolle, Gras und "Speziellem-Schaf-Einreibemittel". Tiffanys Land verzaubert und berührt, es ist wie ein Märchen über eine greifbare Welt, in der Albträume wahr werden, aber auch besiegt werden können, und das ist das Wunderbare daran: von alleine so stark zu werden, dass man sich der eigenen Angst stellen kann.
"Kleine freie Männer" ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das von einem butterherstellenden Kind zu einer butterherstellenden Hexe wird und ganz nebenbei die Hexenschule findet und die Kelda eines Stammes Kleiner Riesen wird. Terry Pratchett erschafft mit seinem Kreideland eine Welt wie aus Glas, zerbrechlich und solide zugleich, eine Hommage an den ländlichen Volksglauben, an die alten Traditionen, Gewissheiten und (Fabel)Wesen.
Tiffanys Welt voller grüner Wiesen, alter Grabhügel, riesiger Steine und verborgener Wesen möchte man nicht wieder verlassen, leider ist das Buch schon nach schnell gelesenen 315 Seiten vorbei. In diesem Buch tauchen zum ersten Mal (nun, zumindest für mich) Oma Wetterwachs und Nanny Ogg auf, seltsamerweise verhält sich Oma Wetterwachs Tiffany gegenüber weitaus respektvoller als gegenüber anderen Hexen und schenkt ihr sogar einen "virtuellen Hut"- und ihren Respekt. Auch dies ist, kennt man Oma Wetterwachs und Nanny Ogg, eine schöne Parallele zu Terry Pratchetts anderen Hexen-Romanen.
Am Ende erwartet einen noch einen kurzes, sehr schönes Nachwort des Autors, welches einen das Buch lächelnd schließen lässt. 
Und Tiffanys Geschichte geht noch weiter: in den Büchern "Ein Hut voller Sterne", "Der Winterschmied" und "Das Mitternachtskleid", und immer stehen die selben Leitproblematiken und -gedanken im Mittelpunkt: Was ist Magie? Und hört Magie auf, Magie zu sein, wenn man eine Erklärung dafür gefunden hat? Woher sollen wir wissen, wohin wir gehen, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen?
Ein wunderbares, von mir sehr geliebtes und wohl schon hundertmal gelesenes Buch voller Poesie und Schönheit. Oft schon hat mich dieses Buch zum Weinen gebracht, aber auch zum Lachen- es spricht von großer Trauer und von tiefen Erinnerungen, aber auch von bewegender Schönheit. Und nicht zuletzt ist es voll von Terry Pratchetts berühmtem Humor und findet genau die richtige Mitte zwischen Romantik und Witz. Schon die Beschreibung auf der Rückseite des Buches verzaubert. Danke für eines der schönsten Bücher der Welt.
10 von 10 Punkten vergebe ich an diesen Wegweiser meiner Kindheit und Jugendzeit.

"An dem Tag, als Oma Weh starb, schnitten die Männer den Grasboden um die Hütte herum und stapelten die Soden ein Stück entfernt auf. Dann gruben sie ein Loch in die Kreide, einen Meter achtzig lang. In großen, feuchten Blöcken hoben sie die Kreide heraus.
Donner und Blitz beobachteten sie aufmerksam. Sie jaulten und bellten mehr interessiert als besorgt. 
Oma Weh wurde in eine Wolldecke gehüllt, an der ein Büschel Rohwolle befestigt war. Das war ein Schäferbrauch. Er sollte irgendwelche Götter, die an dem Vorgang beteiligt sein mochten, darauf hinweisen, dass die zu bestattende Person ein Schäfer war, den größten Teil ihres Lebens auf den Weiden des Hügellands verbracht und wegen den Lammungen und anderen Dingen kaum Zeit für Religion gefunden hatte; außerdem gab es keine Kirchen und Tempel hier oben, deshalb erhoffte man sich Verständnis und Wohlwollen von den Göttern. Oma Weh, das musste man über sie sagen, hatte nie in ihrem Leben zu jemandem oder etwas gebetet, und alle glaubten, dass sie selbst jetzt keine Zeit für einen Gott erübrigt hätte, der nicht einsah, dass zuerst die Lammung anstand. 
Man füllte ihr Grab mit der Kreide, und Oma Weh, die immer gesagt hatte, dass die Hügel in ihren Knochen steckten, hatte nun ihre Knochen in den Hügeln.
Und dann wurde die Hütte verbrannt. Das war nicht üblich, aber Tiffanys Vater meinte, es gäbe nirgends im Kreideland einen Schäfer, der sie benutzen würde.
Die beiden Hunde Donner und Blitz kamen nicht, als er sie rief, und er verstand und ließ sie zufireden bei der glühenden Asche der Hütte sitzen.
Am nächsten Tag, als die Asche kalt war und über die Kreide wehte, kamen alle zurück und legten mit großer Sorgfalt die Soden aus, und danach waren nur noch die eisernen Räder an ihren Achsen und der Kanonenofen zu sehen. 
Und dann, so erzählten alle, sahen die beiden Schäferhunde auf, spitzten die Ohren und liefen davon. Man sah sie nie wieder."

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